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- 16 Nov, 2019
- Beratung, Existenzgründung, Umsetzung, Wissen
Thema Beschreibung
MVP – richtig verstehen und anwenden
Irgendwie scheint sich nicht nur die Mode turnusgemäß neu erfinden zu müssen. Und so kommen immer wieder hippe Begriffe auf – meist Anglizismen, die neu und wichtig klingen. Doch schaut man sich den Sinngehalt an, so wird häufig klar, dass nicht wirklich Neues dahinter steckt. Diese Tatsache an sich hat ja noch etwas belustigendes. Jedoch üben solche Xenismen offensichtlich eine so starke Attraktivität aus, dass sie sich schnell etablieren – ohne oftmals wirklich von jedem Anwender verstanden worden zu sein. Die Folge sind Missverständnisse und Misserfolge. MVP – ein „Minimum Viable Product“ ist ein solcher Terminus.
Kennzeichen eines MVP
Als ein „Minimal Viable Product“ wird die Minimal-Version eines Produkts bezeichnet, dass vom Markt noch als nutzbringend oder begehrenswert beurteilt und daher akzeptiert wird. Es ist am Markt „überlebensfähig“ – viable. Fälschlicherweise wird MVP gerne auch mal mit „Minimal Valuable Product“ übersetzt. Aber es geht nicht um die minimale Wertigkeit des Produkt. Maßstab sind vielmehr die Anforderungen und Bedürfnisse der Konsumenten. Diese gilt es zu identifizieren und zu werten. Dazu sind die ermittelten Leistungs- und Ausstattungsmerkmale (Features) zu erfassen und aus der Sicht des Konsumenten zu priorisieren. Anschließend werden die Merkmale festgelegt, die das zu schaffende Produkt mindestens haben muss, damit der Markt es akzeptiert. Die Eigenschaften eines MVP sind somit keine Schnitt-, sondern eine Teilmenge der maximalen Produkt-Features.
MVP bei der Digitalisierung analoger Prozesse anno 1986
Der Begriff „Minimal Viable Product“ wurde 2001 im Zuge des „Lean-Startup“-Gedankens populär. Die Prinzipien eines MVP (und das daraus resultierende Produkt) kamen jedoch schon viel früher zur Anwendung, beispielsweise 1986 in meiner Tätigkeit bei der Entwicklung einer Logistik-Software für ein Unternehmen mit 500.000 Mitarbeitern.
Im Rahmen eines Großprojekts wurde ein Tool entwickelt, welche genau die Funktionen beinhaltete, die für einen produktiven Einsatz in der Logistiksteuerung und -überwachung essenziell waren – eben ein „Minimal Viable Product“. Ziel war es, mit möglichst geringen Aufwand ein digitales Hilfsmittel zu schaffen, um es auf seine Alltagstauglichkeit hin zu überprüfen. Digitalisierung von Prozessen war also auch schon vor >30 Jahren ein wichtiges Thema. Und der Erfolg gab mir Recht: Die programmierte Minimal-Lösung bewährte sich im turbulenten Einsatz – rund um die Uhr. Sie beschleunigte Vorgänge, erleichterte das Monitoring und lief fehlerfrei. Besonders der letzte Aspekt unterscheidet ein MVP von einem Prototypen oder Beta-Test – doch dazu später mehr. Und so überzeugten die Vorzüge der Digitalisierung die Verantwortlichen bereits nach kurzer Zeit so sehr, dass daraufhin eine unternehmensweite Lösung entwickelt und implementiert wurde.
MVP-Prinzipien
Die Prinzipien, die damals angewendet wurden, gelten noch heute. Der Erfolg baut dabei auf drei Phasen auf:
Definition – Entwicklung und Produktion – Einsatz
- Definition der benötigten Funktionen, um zum produktiven Einsatz zu kommen.
- Wahl einer effizienten Entwicklungsumgebung.
Ich wählte 1986 die Datenbank-Software dBase (Hersteller: Ashton-Tate) als Basis. Programmiersprachen, wie beispielsweise Cobol, schieden aufgrund ihrer Komplexität und der längeren Entwicklungszeit aus, Basic,… kamen – mangels Leistung und benötigter Funktionen – nicht in Frage. Mit der Entscheidung einer Entwicklung auf dBase-Basis entschied ich mich zwar gegen die Möglichkeit eines zukünftig iterativen Entwicklungsprozesses, doch die Argumente für diese pragmatische Lösung sprachen klar für sich. Daher halte ich die Forderung nach einem Validated Learning-Prozess für zu dogmatisch. Der zu wählende Lösungsweg sollte vielmehr nach den gegebenen Rahmenbedingungen gewählt werden. Eine Herangehensweise nach dem Prozess-Thinking-Prinzip hilft dabei, die greifenden Parameter zu definieren. - Einsatz in einem begrenzten Teilmarkt. Im o. g. Fall handelte es sich um ein zeitlich und räumlich begrenztes Projekt.
MVP bei materiellen und immaterielle Produkten
Ein MVP kann jedoch nicht nur bei Software sinnvoll zum Einsatz kommen. Produktentwicklungen generell sind oftmals zeitaufwendig und kostspielig. Dabei spielt es eher eine untergeordnete Rolle, ob es sich um materielle oder immaterielle Produkte handelt.
8 Vorteile durch MVP
Mit einem MVP an den Markt zu gehen, bringt mehrere Vorteile mit sich – unter anderem:
- Time-to-Market-Beschleunigung
Die geringeren Entwicklungs- und Fertigungsaufwände beschleunigen in der Regel den Markteintritt, was gleich mehrere positive Effekte hat: Die „Time-to-Market“ wird verkürzt, so dass die Refinanzierung früher beginnen kann. Zudem können sich Unternehmen auf diese Weise einen Zeitvorteil gegenüber Mitbewerbern verschaffen. - Image
Das Bedürfnis von Early-Adopters wird frühstmöglich befriedigt, was sich positiv auf das Unternehmensimage auswirken kann. - Absatzsteigerung
Durch die frühere Verfügbarkeit können Marktbedürfnisse befriedigt werden, bevor Mitbewerber tätig werden. Marktpotenziale lassen sich so schneller und umfassender ausschöpfen. - Gewinnsteigerung
Marktbedürfnisse noch vor Mitbewerbern zu befriedigen, bringt meist auch höhere Margen mit sich – zumindest in der Markteintritts- und Einführungsphase. - Frequenz der Produktlebenszyklen
Die immer kürzeren Produktlebenszyklen in einigen Branchen erfordern eine beschleunigte Entwicklung und Fertigung. Mit einem MVP kann dem Rechnung getragen werden. - Risikominimierung
Da weder die Marktakzeptanz (noch das Wachstumspotenzial) eines neuen Produkts beim Markteintritt mit Sicherheit garantiert werden kann, gelten diese Newcomer als „Question Mark“ im Sinne einer Portfolioanalyse. Doch durch das Reduzieren der Entwicklungs- und Fertigungsaufwände werden die finanziellen Folgen eines Scheiterns am Markt vermindert. - Absicherung
Durch die niedrigeren Aufwände und die erzielten Einsparungen können Unternehmen jedoch leichter mehrere Produkte an den Start bringen. Scheitert ein Neuprodukt, tragen die anderen zur Absicherung des Unternehmens bei. - Agilität
Im Zuge eines agilen Produktionsprozesses bietet die MVP-Methode die Chance, bereits frühzeitig auf geänderte oder falsch eingeschätzte Konsumentenerwartungen zu reagieren. Die Erfahrungen mit dem MVP fließen in einen iterativen Entwicklungsprozess ein. Ein KVP (kontinuierlicher Verbesserungsprozess).
Darüber hinaus lassen sich weitere, strategische Gründe für den Einsatz von MVP durch ein Unternehmen ausmachen.
So profitieren kleine Unternehmen von einem MVP
Was so akademisch klingt, hat einen praxistauglichen Nutzen und ist eine attraktive Strategie für Existenzgründungen. Es passt gut in den Lean-Startup-Ansatz. Denn auch wenn Sie noch so überzeugt von Ihrer Geschäftsidee sind, die Vorteile eines MVP sind deutlich:
- geringerer Invest notwendig
- beschleunigter Start
- schnelleres Generieren von Umsatz
- geringere Risiken
- aus Erfahrungen lernen und das Angebot verbessern